Leitprojekt-Konzept

Erdringe_4-EntstehungBohol (Philippinen), 15. Oktober 2013, 08:13 Uhr (Ortszeit):

Ein schweres Erdebeben die Insel. Etwa eine Stunde später beginnt das Seismometer im Keller der Sankt-Ansgar-Schule in Hamburg auszuschlagen. Was ist auf den Philippinen passiert? Welche Informationen liefert uns dazu das Seismometer? Welche Folgen hat das Beben für die Bevölkerung vor Ort? Welche Möglichkeiten gibt es, die Bevölkerung in Zukunft besser vor den Auswirkungen eines solchen Bebens zu schützen?

Das interdisziplinäre Leitprojekt „Bebende Erde“ nimmt das registrierte Beben zum Anlass, solche Fragen unter unterschiedlichsten Aspekten zu untersuchen und Lösungsvorschläge zu entwickeln.

Planung und Verlauf des Projekts:

Der Verlauf des Projekts „Bebende Erde“ gliedert sich in sechs Projektphasen.

In der ersten Projektphase bauen die Schülerinnen und Schüler (SuS) des Oberstufenprofils selbstständig ein Schulseismometer auf und setzen es im Keller der Schule in Betrieb. Funktioniert das Seismometer fehlerfrei, dann kann es im Prinzip Fernbeben aus aller Welt, die eine bestimmte Stärke überschreiten, aufzeichnen.

Während der zweiten Projektphase werden innerhalb eines fest gelegten Zeitraums die vom Seismometer aufgezeichneten Daten gesammelt und einer ersten groben Analyse unterzogen, um eventuell aufgezeichnete Erdbeben zu identifizieren. Ein in diesem Zeitraum registriertes Beben – bei mehreren Beben wählen die SuS ein Beben aus – wird zur übergeordneten thematischen Klammer für den weiteren Projektverlauf. Unter den vier beim ersten Projektdurchlauf aufgezeichneten Fernbeben wählten die SuS das Erdbeben aus, das am 15. Oktober 2013 auf der philippinischen Insel Bohol große Verwüstungen anrichtete.

Die dritte Phase des Projektverlaufs dient der Themenfindung. Die SuS gruppieren sich dann in kleinen Teams und formulieren eine Fragestellung bzw. ein Thema, das sie im Verlauf der vierten Projektphase näher untersuchen. Bei der Themenfindung haben die Teams absolut freie Hand – die einzige Bedingung ist, dass ihr Thema bzw. ihre Fragestellung mit dem registrierten Erdbeben in einem konkreten Zusammenhang steht. Bei der Durchführung des Projekts im Spätjahr 2013 reichte die Bandbreite der Themen von eher geophysikalischen Fragestellungen im Zusammenhang mit dem philippinischen Beben über die grundsätzliche Gegenüberstellung der Begriffe „Naturrisiko“ und „Naturkatastrophe“ am Beispiel der Philippinen bis hin zu den folgenden Themen, die einen konkreten Bezug zu Entwicklungspolitik und Entwicklungshilfe haben:

  • Erdbebensicheres Bauen auf den Philippinen
  • Wellenkraftwerke vor der philippinischen Küste – eine Möglichkeit zur Energiegewinnung, die gleichzeitig die Küste vor Tsunamis schützt?
  • Auswirkungen des Bebens auf eine philippinische Familie vor Ort und Möglichkeiten zur Hilfe

Die vierte Projektphase ist die eigentliche Ausarbeitungsphase für die Kleinteams. Die SuS forschen an ihrem selbst gestellten Thema und nutzen dabei die unterschiedlichsten Ressourcen: Internetrecherche, Besuch an der Universität, Interview mit Angehörigen, Kontaktaufnahme mit Firmen, um nur einige zu nennen. Am Ende dieser Projektphase fassen die Teams ihre Ergebnisse in einer Präsentation und einem Skript zusammen.

Während der fünften Projektphase werden die Ergebnisse präsentiert. Zunächst präsentieren die Kleinteams ihre Ergebnisse in einem Vortrag den anderen SuS im Profil, später ist geplant, die Ergebnisse einem größeren Publikum zu präsentieren.

Die sechste Phase dient der Reflexion. In Feedbackgesprächen reflektieren die SuS sowohl das gesamte Projekt als auch ihr eigenes Handeln innerhalb der Gruppe.

Innovative Merkmale des Projekts und deren Gewinn für die SuS:

  • Ein erstes Feedback ergab, dass die SuS das Projekt „Bebende Erde“ als sehr spannend und anregend beurteilten. Zum einen wurde positiv registriert, dass mit dem Aufbau des Seismometers und der Beschäftigung mit Erdbebenwellen das Physik-Pflichtthema „Schwingungen und Wellen“ mit Leben erfüllt wurde – sozusagen als „Physik zum Anfassen“. Zum anderen wurde den SuS auf einer Meta-Ebene klar, dass das in unserer Schule registrierte Seismogramm ebenfalls bedeutet: in einer globalisierten Welt sind die Folgen einer lokalen Naturkatastrophe auch bei uns zu spüren.
  • In der Regel haben Schul- bzw. Schülerprojekte einen thematischen Schwerpunkt, der entweder von den SuS gewählt oder von den Lehrer/innen vorgeschlagen wird. Beim Projekt „Bebende Erde“ weiß zu Beginn niemand, in welche Richtung sich das Projekt weiter entwickelt und welche Fragestellungen sich ergeben könnten. Klar ist lediglich: das aufgezeichnete Beben entscheidet, welchen weiteren Verlauf das Projekt nimmt. Das Beben selbst lenkt den Fokus der Projektgruppe auf eine Region in der Welt, mit der sich viele SuS möglicherweise zum ersten Mal intensiv auseinandersetzen. Dadurch dass das Beben in der eigenen Schule (mittels Seismometer) noch zu spüren ist, erleben die SuS einen Realitätsbezug, der viel intensiver ist, als wenn sie nur auf Informationen aus den Medien zurückgreifen könnten.
  • Durch seinen interdisziplinären Charakter bietet das Projekt „Bebende Erde“ Raum für die unterschiedlichsten Schüleraktivitäten. Sie reichen von praktisch-handwerklichen Arbeiten beim Aufbau des Seismometers über die kognitive Beschäftigung mit physikalischen Fragestellungen bis hin zu der Entwicklung von Konzepten für konkrete Hilfe vor Ort und zu Interviews von Angehörigen der vom Beben betroffenen Menschen. Entsprechend werden die unterschiedlichsten Kompetenzen der SuS gefördert.
  • Das Projekt „Bebende Erde“ gibt durch die weitgehende Freiheit bei der Themenwahl nicht ausdrücklich eine entwicklungspolitische Fragestellung vor. Die Auswertung zeigt jedoch, dass der Aspekt der Entwicklungshilfe im Projektverlauf immer stärker bei den SuS in den Vordergrund rückt – auch bei den Gruppen, die ein eher geophysikalisches Thema erforscht haben. So haben die SuS des Profilkurses spontan beschlossen, eine kleine Hilfsorganisation auf der Insel Bohol mit einer Spendenaktion zu unterstützen, obwohl dies nicht geplant war. Eine mögliche Erklärung für diese Entwicklung könnte sein, dass die Frage „Wie können wir helfen?“ den SuS nicht durch die Projektstruktur aufoktroyiert wird, sondern sich die Empathie mit den Betroffenen intrinsisch durch die Beschäftigung mit den Folgen eines verheerenden Bebens entwickelt.
  • Durch die Einbindung in das Netzwerk „Geosystem Erde“ haben die SuS die Möglichkeit, sich unter dem Leitbild „Die Welt begreifen durch globales, nachhaltiges Denken, Lernen und Handeln“ mit SuS anderer Schulen, Schulformen und Jahrgängen auszutauschen und zu vernetzen.