Leitprojekt-Konzept

Erdringe_4-EntstehungAm 11. März 2011 überschwemmte in Japan ein Tsunami von etwa 10m Höhe die Atomanlage Fukushima Daichi (Fukushima), deren Deichanlagen für Tsunamis bis zu 5,7m Höhe ausgelegt waren. Die Stöße des Erdbebens 50min vorher hatten bereits die reguläre Stromversorgung unterbrochen. Die Techniker und Ingenieure im Kontrollzentrum hatten — auf ein solches, anzunehmendes Notfallszenario („GAU“) vorbereitet — die Reaktoren herunterfahren und die Notstromversorgung aktivieren können. Die Tatsache, dass die Wassermassen des Tsunami die Notstromaggregate überfluteten und somit außer Betrieb setzten, war offenbar in keinem Katastrophen – Szenario vorgesehen und traf die verantwortlichen Techniker mit der ihnen zur Verfügung stehenden technischen Infrastruktur auf unvorhergesehene Weise („Super – Gau“): Die Brennstäbe der vier Kernreaktoren konnten nicht mehr auf ausreichende Weise gekühlt werden, was in dreien der vier Reaktoren zur Kernschmelze führte bis hin zur Explosion des entstandenen Wasserstoffes und damit zur Zerstörung der Reaktorblöcke.

Mit der unkontrollierbar austretenden Radioaktivität – genauer: mit den sich verbreitenden Spaltprodukten — ist mittlerweile das Umland um Fukushima kontaminiert worden. Die Arbeiter auf dem Gelände müssen kurzfristig Leckagen in den Wasserspeichern schließen, um den Austritt verseuchten Kühlwassers einzudämmen und das Grundwasser zu schützen. Langfristig soll bis 2040 die komplette Anlage abgebaut werden, was zuvor eine Bergung und Abtransport aller dort vorhandenen Brennstäbe erfordert.

Das gesundheitliche Risiko, dem die dort eingesetzten Arbeiter ausgesetzt sind, kann nur gemutmaßt werden. Die Bevölkerung, die zuvor aus den unmittelbar betroffenen Gebieten evakuiert worden war, ist teilweise zur Rückkehr aufgefordert worden. Die Dekontaminierungsbemühungen beschränken sich auf ein Abtragen und Sammeln von kontaminiertem Mutterboden und Reinigen von Straßen und Hauswänden. Die Frage nach dem fachgerechten Entsorgen des gesammelten Kontaminierten ist nach wie vor ungeklärt.

Auch wenn die Folgen dieser Radioaktivität bei uns nicht unmittelbar zu spüren sein werden, da die Strahlung bei uns in Mitteleuropa derart verdünnt ankommen wird und von der natürlichen Hintergrundstrahlung nicht zu unterscheiden sein wird, hat diese Katastrophe ein globales Ausmaß.

Die weltwirtschaftlichen Folgen eines durch diese Katastrophe volkswirtschaftlich beeinträchtigten Japans können noch nicht beziffert werden, da das gesamte Ausmaß in Japan selber noch nicht zu überschauen ist. Was diese Katastrophe aber schon jetzt global macht, ist die Einsicht, dass mit der Nutzung der Kernenergie auf Techniken zurückgegriffen wird, die unter unvorhersehbaren, von Menschen unbeeinflussbaren Ereignissen aus dem Ruder laufen können. Mit dem Wort „Havarie“ wird dem Umstand Rechnung getragen, dass ein abruptes Ende eingetreten ist, ab dem der Mensch nicht mehr der Kapitän im Boot ist. Vielmehr tritt an seine Stelle das Diktat der durch die Havarie herbeigeführten Umstände:

Weiterglühen von Brennstäben, Kontaminierung von Land und Grundwasser mit dem Lebensrisiko für Flora und Fauna, für die Nahrungsketten und natürlichen Abläufe und für das menschliche Leben. Die Folgen einer solchen Havarie sind somit langlebiger, als die Halbwertzeit der radioaktiven Spaltprodukte. Wie eine unsichtbare Heimsuchung haften sie dem betroffenem Land an und müssen von kommenden Generationen geschultert werden. Damit wird das Gebot der Nachhaltigkeit ins Absurde verkehrt.

Aktuell steht der Name Fukushima für das exemplarische Scheitern einer spärlich durchdachten Technik zur friedlichen Nutzung nuklearer Energie. Unser Schwerpunkt soll allerdings weniger auf den technischen Ursachen der Havarie liegen, als vielmehr auf den Folgen, die, soweit sie bisher überhaupt zu überblicken sind, als fragwürdiges Erbe kommende Generationen zu tragen haben werden.

Die Methodik liegt im Wesentlichen im selbständigen Beschaffen von Informationen, im Bearbeiten von vorgegebenen Forscherfragen, die als Impulse eingegeben werden, im Auswerten und Verstehen dieser Informationen und im Darstellen und Präsentieren des erworbenen Wissens. Je nach Neigung können inhaltliche Schwerpunkte gesetzt werden, womit einer Neigungsdifferenzierung genügend Raum gegeben wird.

Im Vermitteln des naturwissenschaftlichen Grundwissens für den Jahrgang 7 liegt eine Herausforderung, die den entwicklungspsychologischen Horizont der Lernenden immer im Blick haben soll. Gleichzeitig liegt darin aber der besondere Reiz der Gesamtthematik. Die Lernenden sind allein durch den täglichen Informationsfluss der Medien für erstaunlich tiefgehende Fragestellungen bereits sensibilisiert und können auf Vorwissen zurückgreifen. Dieses muss ja nicht im Nebulösen verharren, sondern kann — dafür ist das Thema spektakulär und motivierend genug — zu einem weiterführenden, aufgeklärten Verständnis gebracht werden.

Das naturwissenschaftlich-physikalische Grundwissen berührt diese Themenfelder:

  • Radioaktivität als natürliches Phänomen unbelebter Materie
  • Strahlung hat unterschiedliche Formen / Begriff „Spektren“
  • unterschiedliche Formen der Radioaktivität
  • Was sind Isotope?
  • Was „strahlt“ denn eigentlich?
  • Wirkung nuklearer Energie
  • Was ist das Gefährliche an Radioaktivität?

Der gesamte Themenkomplex entfaltet seinen besonderen Reiz im Fächerübergriff:

Biologie

  • Zellen als Bausteine des Organismus unter Beschuss / Was richtet die radioaktive Strahlung im Organismus an?
  • Mutationen bei Fauna und Flora
  • Radioaktivität in der Nahrungskette
  • Krebsgefahr beim Menschen

Geographie und Geologie, insbesondere die Japans

  • beengte Insellage
  • Erdbebengefährdung
  • Grundwasser als erdgeschichtliches Erbe
  • Luft – und Meeresströmungen

Historie

  • Japans erschütternde Erfahrung mit Radioaktivität / die friedliche Nutzung der Nuklearenergie im Gegensatz zur „unfriedlichen“
  • weitere Beispiele für Nuklear – Havarien

gesellschaftswissenschaftlich – politisch (GEW)

  • Zwangsumsiedlung / Verlust der Heimat („Heimsuchung!“) und der beruflichen Existenz
  • Nachhaltigkeit als Imperativ für Generationengerechtigkeit
  • Begriff des volkswirtschaftlichen Schadens / Nutzens

Mathematik

  • „Zahlenspiele“ – radioaktiver Zerfall als statistisches Ereignis
  • Flächenvergleiche / weitere Größen- Mengenvergleiche